Freiheit für eine Welt im Umbruch

Bild 002: Erster Landesparteitag der Bayerischen SPD 1892 [Robert Hoffmann]
Erster Landesparteitag der Bayerischen SPD 1892
(Robert Hoffmann)

Die Geschichte der Sozialdemokratie ist die Geschichte einer Freiheitsbewegung. Die Sozialdemokratie entstand aus der Erfahrung, dass sich die Forderung nach Freiheit nicht auf politische Mitbestimmung oder Meinungsfreiheit beschränken darf. Zu den grundlegenden Voraussetzungen von Freiheit zählen auch die Befreiung von sozialer Not, die Bekämpfung von Vorrechten weniger und von Ungerechtigkeit sowie die demokratische Begrenzung und Kontrolle wirtschaftlicher Macht. Diesen Zielen verpflichtet gründeten sich in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Arbeitervereine. Auch in Bayern reichen die Anfänge der Sozialdemokratie weit vor den ersten Landesparteitag im Jahre 1892 zurück. Die Geburtsstunde der bayerischen SPD als Landespartei fand am Ende eines Jahrhunderts statt, das Deutschland und Bayern tiefgreifend verändert und – trotz Verboten und Repressionen – zu einem rasanten Aufstieg der Sozialdemokratie geführt hatte.

Für Mitbestimmung und Freiheit von sozialer Not

Bild 003: Aufständische 1848 [Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv]
Aufständische 1848
(Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv)

Bayern war während des 19. Jahrhunderts zum modernen Staat geworden. Durch die Säkularisation hatte die Kirche ihre zahlreichen Herrschaftsgebiete verloren. Auch die fränkischen Gebiete wurden in das von Napoleon 1806 zum Königreich erhobene Bayern eingegliedert. Gab es zuvor eine Vielzahl von Herrschaftsträgern, lief nun die Macht beim Monarchen, beim bayerischen König Maximilian I. zusammen. Der königliche Minister Graf Montgelas schuf eine effiziente Verwaltung mit ausgebildeten Beamten und reformierte die Wirtschafts- und Steuergesetzgebung. Die 1808 erlassene Verfassung gewährte den BürgerInnen zwar Freiheitsrechte wie die Gewissens- und Religionsfreiheit. Weite Teile der Bevölkerung besaßen aber keine Mitbestimmungsrechte, setzte sich der Landtag doch nur aus den besitzenden Ständen zusammen und hatte gegenüber dem Monarchen nur eingeschränktes Mitspracherecht.

Als sich 1848 in ganz Europa BürgerInnen erhoben, um gegen Fürsten und Adel politische Mitbestimmung durchzusetzen, kam es auch in Bayern zu Unruhen. Für kurze Zeit erfüllte König Maximilian II. revolutionäre Forderungen wie Pressefreiheit, eine Justizreform und die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem Parlament. Ein neues Wahlrecht ermöglichte es mehr Menschen, an den Landtagswahlen teilzunehmen. Doch schon 1849 wurde der sogenannte Reformlandtag nach Unruhen in der Pfalz wieder aufgelöst; die während der Revolution gewährten Zugeständnisse wurden teilweise wieder zurückgenommen.

Bild 004: Arbeiterwohnung [Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv]
Arbeiterwohnung
(Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv)

Neben der Forderung nach politischer Freiheit gewann mit der Industrialisierung Bayerns auch die Befreiung von sozialer Not an Bedeutung. Die Zentren der Industrialisierung Bayerns lagen in Franken und Schwaben. In Nürnberg und Augsburg entstanden Maschinenfabriken, daneben dominierten im fränkischen und schwäbischen Raum die Textil- und Porzellanindustrie. Städte wie Nürnberg wuchsen nun rasch über ihre Grenzen hinaus.

Heute selbstverständlich erscheinenden Errungenschaften wie geregelte Arbeitszeiten und die Freiheit, die eigene Freizeit zu gestalten, mussten erst erkämpft werden: Denn die wachsende Zahl an Arbeitern musste mit ihren Familien unter häufig unwürdigen Bedingungen wohnen. Extrem lange Arbeitszeiten von 12-14 Stunden täglich und uneingeschränkte Kinderarbeit waren zunächst die Regel. Erst nach der Revolution von 1918 wurde der Acht-Studen-Tag unter maßgeblicher Mitwirkung der SPD eingeführt.

Die vielen Anfänge der bayerischen Sozialdemokratie

Bild 005: Traditionsbanner des ADAV [Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv]
Traditionsbanner des ADAV
(Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv)

Angesichts dieser Situation verwundert es wenig, dass die vielen Anfänge der Sozialdemokratie in Bayern vor 1892 liegen. Aus der Einsicht, dass sich umfassende Freiheit für das gesamte Volk nur durch Selbstorganisation erreichen ließ, gründeten sich bereits während der Revolution von 1848 Arbeiterverbrüderungen. 1849 fand in Nürnberg der erste bayerische Arbeiterkongress statt, an dem Delegierte aus 46 Arbeitervereinen in ganz Bayern teilnahmen.

Die in verschiedenen Städten Bayerns entstehenden Arbeitervereine suchten rasch den engen Kontakt zu Arbeiterorganisationen im restlichen Deutschland. Die beiden großen Arbeitervereine, der Vereinstag Deutscher Arbeitervereine (VDAV), aus dem die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) hervorging, und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV), gewannen rasch Einfluss in der bayerischen Arbeiterbewegung. Trotz der Erkenntnis, dass die politischen Ziele nur im Zusammenschluss erreicht werden konnten, blieb die Arbeiterbewegung auch in Bayern zunächst aufgrund inhaltlicher und strategischer Fragen gespalten. Ein in Nürnberg 1861 entstandener Arbeiterverein schloss sich dem VDAV an. In Fürth gründete sich 1868 der Arbeiterverein “Zukunft”, aus dem die sozialdemokratische Partei hervorging. In Augsburg (1864) und München (1869) sowie bald darauf in Würzburg und Kolbermorr bei Rosenheim gründeten sich hingegen “Gemeinden” des von Ferdinand Lassalle geführten ADAV.

Während es auf der Reichsebene noch bis 1875 dauern sollte, bis sich die beiden Linien der Arbeiterbewegung in der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) vereinigten, gingen die Uhren in Bayern anders: Bereits 1870 schlossen sich hier die “Lassallaner” des ADAV der SDAP an und legten so den Grundstein zu einem – von den Sozialistengesetzen freilich gebremsten – Aufschwung der bayerischen Arbeiterbewegung in den 1870er Jahren. Als sich 1892 die Delegierten des Landesparteitags trafen, war die mittlerweile zur SPD umbenannte SAP trotz aller Widrigkeiten zur stärksten Kraft im Reichstag geworden. In Bayern war mit Karl Grillenberger bereits 1881 erstmals ein bayerischer Sozialdemokrat in den Reichstag gelangt. Als sich 1892der Landesverband gründete, stellte die bayerische SPD bereits drei Reichstagsabgeordnete.

  • 1848

    Bürgerliche Revolution in Deutschland

    Der Verein “Arbeiterverbrüderung” wird gegründet

    Bild 006: Paulskirche [Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv]
    Paulskirche
    (Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv)

  • 1863

    Ferdinand Lassalle gründet in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein

  • 1869

    August Bebel und Wilhelm Liebknecht gründen in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei SDAP

  • 1875

    Zusammenschluss beider Parteien auf dem Gothaer Kongress zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands

    Bild 007: Gedenkblatt zum Einigungsparteitag 1875 [Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv]
    Gedenkblatt zum Einigungsparteitag 1875
    (Archiv der Sozialen Demokratie Fotoarchiv)

  • 1871

    Gründung des Deutschen Reiches

  • 1878-1890

    Sozialistengesetze

  • 1881

    Karl Grillenberger gewinnt das erste Reichstagsmandat für die SAP in Bayern

  • 1890

    Die SAP benennt sich in Sozialdemokratische Partei Deutschlands um. Bei den Reichstagswahlen wird sie mit 19,7 % die stärkste Partei

  • 1891

    Die SPD beschließt das Erfurter Programm

  • 1892

    Erster Landesparteitag der bayerischen SPD in Regensburg