Vom Königreich zum Freistaat

Bild 015: Demonstration am 7. November 1918 [Bildarchiv Hofmann]
Demonstration am 7. November 1918
(Bildarchiv Hofmann)

Als am 8. November 1918 der unabhängige Sozialdemokrat Kurt Eisner den Freistaat Bayern als “Volksstaat” ausrief und sich eine Regierung aus MSPD und USPD bildete, rückte die Umsetzung sozialdemokratischer Kernforderungen nach allgemeinem, gleichem und direktem Stimmrecht sowie nach direkter Gesetzgebung durch das Volk auch in Bayern in greifbare Nähe. Der lange Weg vom ersten Parteitag der bayerischen Sozialdemokratie bis zur Ausrufung des Freistaats Bayern war vom Bemühen um konkrete Verbesserungen für die Menschen aber auch von heftigem Ringen um den richtigen Weg zu einer solidarischen und freien Gesellschaft geprägt. In der Auseinandersetzung um die Zustimmung zu den Kriegskrediten war während des ersten Weltkriegs schließlich auch die bayerische Sozialdemokratie in MSPD und USPD zerbrochen. Dass sich die beiden sozialdemokratischen Parteien in Bayern gegen Kriegsende annäherten war eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass SozialdemokratInnen die Geschichte Bayerns in einer Schicksalsstunde gestalteten.

Reformpolitik unter Maßkrügen?

Bild 016: Plakat vom 8. November 1918 [Bildarchiv Hofmann]
Plakat vom 8. November 1918
(Bildarchiv Hofmann)

Die Zeit vor dem ersten Weltkrieg war in Bayern wie im übrigen Reich vom Aufstieg der Sozialdemokratie geprägt. 1893 - also ein Jahr nach dem ersten Landesparteitag der bayerischen SPD - zogen trotz des ungerechten Wahlrechts bereits fünf sozialdemokratische Abgeordnete in den Landtag ein. Durch zeitweise Wahlbündnisse und geringfügige Verbesserungen des Wahlrechts konnte die bayerische Sozialdemokratie an Zustimmung und Mandaten gewinnen. Bei der Landtagswahl von 1912 erlangte sie mit 19,5 Prozent 30 Mandate und wurde somit die zweitstärkste Partei nach dem Zentrum.

Bild 017: SPD-Landtagsfraktion 1912 [Bildarchiv Hofmann]
SPD-Landtagsfraktion 1912
(Bildarchiv Hofmann)

Unter der Führung Georg von Vollmars zielten Partei und Landtagsfraktion darauf ab, Staat und Gesellschaft durch voranschreitende Reformen zu verändern. Wichtige Anliegen waren die Schaffung eines freiheitlichen Vereins- und Versammlungsrechtes, eine demokratische Reform des Wahlrechts, aber auch Verbesserungen im Tarifvertragsrecht und in der Beamtenbesoldung. Dass Vollmar und seine Landtagskollegen bereit waren, für geringfügige Verbesserungen den Landesetat mitzutragen, stieß teils auf bayerischen Landesparteitagen, vor allem aber innerhalb der Sozialdemokratie auf Reichsebene auf heftigen Widerspruch. In ihrem Erfurter Programm trat die SPD zwar auch für konkrete Reformen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen ein, ließ aber andererseits keinen Zweifel am Ziel einer radikalen Umwälzung der herrschenden Verhältnisse. Diese Ziele, um die in der Reichs-SPD zwischen Revisionisten und Zentristen heftig gerungen wurde, sah man durch das Handeln der Sozialdemokraten im Bayerischen Landtag in Gefahr. In der Diskussion um die richtige Strategie soll August Bebel Georg von Vollmar zugerufen haben: “In München wandert keiner auf Dauer ungestraft unter den Maßkrügen. In München gehen die stolzesten Parteisäulen nach einer Zeit zu Grunde.”

Vom Kriegsausbruch zur Revolution

Bild 014: Demonstration am 7. November 1918 [Bildarchiv Hofmann]
Demonstration am 7. November 1918
(Bildarchiv Hofmann)

Die Widersprüche innerhalb der Sozialdemokratischen Partei kamen 1914 voll zum Tragen: Die imperialistische Konkurrenz der europäischen Großmächte führte im August 1914 zum Krieg. Kurz vor Kriegsausbruch riefen SozialdemokratInnen auch in Bayern zu Friedensdemonstrationen auf. Mit der Begründung, dass die Grenzen Deutschlands von Feinden bedroht seien, stimmte die SPD-Fraktion nach Kriegsbeginn im Reichstag jedoch für die Kriegskredite. Diese Haltung führte schließlich zur Spaltung der Reichstagsfraktion und zur Gründung der USPD.

Spielte die USPD in Bayern zunächst nur eine untergeordnete Rolle, konnte sie unter der Führung von Kurt Eisner 1918 mit der Organisation von Streiks gegen die mit dem Krieg einhergehende Not zunehmend an Popularität gewinnen. Die MSPD hingegen versuchte - wohl nicht zuletzt aus Furcht vor erneuten Repressionen wie in der Zeit der Sozialistengesetze - eine Radikalisierung der Arbeiter zu verhindern und Veränderungen auf dem parlamentarischen Wege zu erreichen. Bereits 1917 hatte die sozialdemokratische Fraktion einen Antrag in den Landtag eingebracht, der die Einführung einer parlamentarischen Demokratie mit dem König als Staatspräsidenten forderte. Als der König am 2. November 1918 endlich eine entsprechende Verfassungsreform deklarierte, fanden die Änderungen in der sozialdemokratischen Parteipresse keineswegs ungeteilten Beifall. Ohnehin waren der Unmut über den Krieg und der Wunsch nach grundlegenden politischen Veränderungen so groß, dass sich aus einer von MSPD, USPD und Gewerkschaften organisierten Friedensdemonstration in München unter Führung von Kurt Eisner ein Marsch auf die Kasernen entwickelte. Mit Unterstützung der Soldaten gelang es, die Monarchie ohne Blutvergießen zu stürzen. Es wurde ein Arbeiter- und Soldatenrat mit Kurt Eisner an der Spitze gebildet, der am 8. November den Freistaat Bayern ausrief. Noch am selben Tag entschloss sich die MSPD, in die Regierung Eisner einzutreten. Im “Provisorischen Nationalrat des Volksstaates Bayern” setzten sich die MSPD-Vertreter für rasche allgemeine und freie Wahlen in Bayern ein. Aus der Landtagswahl vom 12. Januar 1919 gingen jedoch konservative und reaktionäre Kräfte gestärkt hervor. Während die MSPD dennoch auf 33 Prozent der Stimmen kam, erlangte die USPD nur 2,5 Prozent. Auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung des Landtages, auf der Eisner den Rücktritt seiner Regierung erklären wollte, wurde er vom rechtsgerichteten Offizier Anton Graf von Arco auf Valley ermordet. Der Mord an Eisner war ein blutiger Ausdruck der zunehmenden politischen Polarisierung, zu der es zu Beginn der Weimarer Republik auch in Bayern kam.

Bild 018: Mahnwache nach der Ermordung Eisners [Bildarchiv Hofmann]
Mahnwache nach der Ermordung Eisners
(Bildarchiv Hofmann)

  • 1893

    Die ersten fünf SPD-Abgeordneten ziehen in den Bayerischen Landtag ein

  • 1898

    Ein neues Vereinsgesetz in Bayern erlaubt Frauen die Betätigung in politischen Vereinen

  • 1903

    Frauen werden an bayerischen Universitäten zugelassen

  • 1911

    Erster Internationaler Frauentag

    Bild 023: Wahlplakat der SPD [Archiv der Sozialen Demokratie]
    Wahlplakat der SPD
    (Archiv der Sozialen Demokratie)

  • 1912

    Bei den Reichstagswahlen erhält die SPD 34,8 % Stimmenanteil

  • 1914-1918

    Erster Weltkrieg

  • 1915-1916

    20 Mitglieder der SPD-Fraktion lehnen die Fortführung der Kriegskredite ab, werden aus der Fraktion ausgeschlossen und gründen eine eigene Reichstagsfraktion

  • 1917

    Ausschluss der Abgeordneten aus der SPD, darauf Gründung der USPD

  • 1918

    Novemberrevolution; Absetzung der Monarchie in Berlin und München Philipp Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus; Kurt Eisner ruft in München den Freistaat Bayern aus und wird Ministerpräsident; Einführung des Acht-Stunden-Tags, die Gewerkschaften werden als Sozialpartner anerkannt.

  • 1919

    Ermordung Kurt Eisners